Heute morgen bin ich mit Verspannungen und Kopfschmerzen aufgewacht. Ich quälte mich aus dem Bett, nahm eine Kopfschmerztablette ein, machte meine vier Kinder für die Schule fertig, verabschiedete sie und legte mich wieder ins Bett. Das kommt nicht oft vor. Mein Körper sagte mir nach einem vollen Wochenende deutlich: heute musst du langsamer machen.

Ich päppelte mich auf, machte mir einen Kaffee und nahm meine Bibel zur Hand. Da klingelte es an der Tür. Zu früh für den Postboten oder den eiligen Amazon Helden.

Als ich die Tür mit einem sichtlich benebelten Gesicht öffnete, stand meine drei-Häuser-weiter-Nachbarin vor der Tür. Sie war noch nie bei uns. Ich hatte sie schon dreimal besucht. Ich hätte mir einen besseren Tag für ihren Besuch bei mir gewünscht, ein saubereres Haus (natürlich hatte ich noch nicht wirklich aufgeräumt, geschweige denn gesaugt) und einen wacheren Geist. Naja, egal. Ich will ein offenes Haus leben und das zu jeder Zeit und egal, wie es aussieht. Sie kam rein, war auch sofort sehr einfühlsam, da sie auch mit Migräne zu kämpfen hat. Wir hatten ein nettes Gespräch und dann schenkte sie mir drei Packungen Spritzgebäck von ihrem Lieblingsbäcker. Wie nett, wie großzügig. Zeichen ihrer Zuneigung und Freundschaft.

Trotz meiner bescheidenen gesundheitlichen Lage dankte ich Gott für diese Frau, dass sie sich in unser Haus getraut hat und sie so einen Schritt weiter in unserer Beziehung gegangen ist.

Später musste ich noch einkaufen gehen. Wirklich dringend. So raffte ich mich viel zu spät auf, wusste, dass es knapp werden wird mit dem ersten Kind, das von der Schule nach Hause kommt. Ich schrieb einen kleinen Zettel und hängte ihn an die Tür: Bin gleich wieder da, geh schon rein...

Im Lidl war der Bär los. Wie am Wochenende, meinte die Verkäuferin. Daher wünschte sie allen ein schönes Wochenende.

Ich hatte meine Liste und meinen dröhnenden Kopf mit mir. Ich wollte schnell die viel zu vollen Gänge mit viel zu viel Zeug hoch und runter laufen und eilig alles nötige (und wirklich nur das nötige) in den Wagen werfen und wieder raus gehen.

Ich schaute auf meinen Zettel, als ich den Gang zu meinem stehen gelassenen Wagen zurück schlenderte. Meine Augen waren heute wirklich nicht geöffnet für die Menschen um mich herum, wie ich es mir eigentlich von mir wünschte. Ich hatte auch nicht davor gebetet, dass Gott mir Menschen zeigt, die ein gutes Wort oder einen freundlichen Blick oder einfach Ihn brauchen.

Und wisst ihr was? Gott ist so freundlich. Er ist so groß, dass er nicht auf mein Gebet angewiesen ist. Er weiß, wo mein Herz ist. Und in seiner Liebe schickte er mir die Person über den Weg, dich mich brauchte und die ich brauchte.

Kurz vor der Tiefkühlabteilung trafen sich unsere Wägen. Und er sprach mich an. Ein alter Mann mit knapper Mütze auf dem Kopf. Er sah meine in mich Versunkenheit und meine Eile und er stoppte mich. Gott stoppte mich. Er schaute mir direkt in die Augen mit seinen hellblauen, wachen etwas getrübten Augen.

Und ich kenne Gott genug, um zu wissen, wann er es eigentlich ist, der mir begegnet.

So kam ich mit diesem Mann ins Gespräch. 82 Jahre alt, 20 Jahre in China gelebt, Direktor einer Firma, seit 5 Jahren verwitwet. Kurz vor ihrem 60. Jahr zusammen. Ihm kamen Tränen in die hellblauen Augen. Mir kamen Tränen in die Augen. Kostbare Momente wenn ich sehe, dass etwas von dem Herzen sich nach außen wendet und Ehrlichkeit und Menschlichkeit Raum gewinnt.

Ich fragte ihn, wie er Weihnachten verbringen würde. Da tauche er drei Tage völlig ab, ist für sich allein und betrauert seine Frau. Da braucht er nichts. Wie schade. Ich lud ihn natürlich zu uns ein, aber diese überraschende Einladung nahm er erstmal nicht an.

Ich fragte ihn wie die meisten Menschen nach seinem Vornamen. (Menschen lieben es, bei ihrem richtigen Namen genannt zu werden, so mache ich die Erfahrung). Sein Name bedeutet "Freund der Friedens". Wie wunderschön. Ob Gott ihn zu seinem Freund machen will?

Als wir uns nach sicher 15 Minuten im Gang stehen (es ist mir so egal, was andere denken, wie sie mich teils mitleidig anschauen, wie sie vorbei eilen) verabschieden wollen, hatte ich das Gefühl, dass ich ihn nicht einfach die Hand geben soll, sondern ihn in den Arm nehmen darf. Das tue ich einfach. Und wir umarmen uns herzlich. Als ich ihn losließ, sagte er mit einem tiefen Seufzen:

"Das hat gut getan." Tränen sind in seinen Augen. Das fehle ihm so sehr. Seine Frau hat er immer, wenn er aus dem Haus gegangen ist, umarmt. Und jetzt wird er nicht mehr umarmt...

Wir tauschen Visitenkarten aus und gehen auseinander. Gehen als Freunde auseinander. Als Menschen, die sich plötzlich kennen. Die sich irgendwie lieb gewonnen haben. In wenigen Minuten mitten im Lidl.

Als ich meinen Einkauf ins Auto räume, danke ich Gott! Ich danke ihm, dass er so gnädig ist und nicht abhängig ist von meiner Verfassung. Er kennt mich und weiß:

Auch wenn sie Kopfschmerzen hat und grad gar keinen Blick für andere: ich kann ihr den Freund des Friedens über den Weg schicken und Frieden in sein Herz sprechen und Segen. Das berührt mich so und lässt mich lächeln und meinen Gott anschauen, wie einen fest vertrauten Freund.

Und mir kommt fast etwas mit einem Schaudern in den Sinn, wieviele Menschen nicht mehr umarmt werden. Was für ein Grundbedürfnis, was vielen Menschen verwehrt bleibt, weil es kaum noch Menschen gibt, die umarmen.

Ich will so ein Mensch sein. Ich will mich nicht scheuen. Ich will nicht geizig sein mit Liebe und spürbarer Nähe.

Was will ich dir sagen?

Mein Tag begann sehr schmerzhaft und vernebelt. Ich wusste nicht, was ich erwarten sollte. Ich fühlte mich nicht bereit. Nicht bereit, Menschen zu sehen und zu ermutigen. Nicht bereit, die Augen zu öffnen und wach durch die Welt zu gehen.

Aber weißt du was? Gott ist immer bereit. Und auch wenn dein Herz vielleicht wie Jona wegläuft und meint, nicht in der Lage zu sein für Gottes Auftrag an dich an diesem Tag: Gott in seiner Gnade kommt trotzdem. In meine Schwäche. In meine Eile. In meinen Zeitplan. Er darf ihn umwerfen und er lässt mich stolpern über die Menschen, denen er durch mich begegnen will. Ich bin immer wieder so fasziniert, wie dieser große Gott uns kleine begrenzte Wesen gebraucht und mit uns zusammen arbeitet.

Es sind heilige Momente. Neben Tiefkühlpizza und Spirituosen. Zwischen Wägen voller Einkäufe. Heilige Orte, wenn wir spüren: hier ist Gott im Spiel. Das hier ist von ihm! Kennst du das? Erlebst du das. Es sind die Augenblicke, die das Leben so richtig lebenswert machen.