Leben ist Kampf! Leben ist Krieg! Leben ist Leiden! - So ist das Leben!
Diese Sätze höre ich oft hier in meinem Umfeld. Und es stimmt. Das Leben hier ist in vielerlei Weisen ein Leiden, ein Kämpfen, ein Überleben. Eigentlich in jeder Familie, in jedem Haus, in das ich gehe, in jedem Menschen hier leben diese Sätze, werden sie durch irgendein Leiden Wirklichkeit.
Diese Leiden sind ganz unterschiedlicher Art. Materielle Not, Krankheit und die schlechte medizinische Versorgung, das korrupte System, in dem hier alles funktioniert (z.B. muss man erst mal eine große Summe Geld zahlen, bevor man überhaupt einen Arbeitsplatz bekommt), Verlust von lieben Menschen usw.
Je länger ich hier lebe, desto mehr wird mir Folgendes bewusst: unser Mit-Leben hier mit den Menschen ist vor allem und im tieferen Sinn ein Mit-Leiden mit ihnen. Mit-leid. Was für ein Wort.
Bin ich dazu bereit? Ich empfinde es als einen großen und schweren Auftrag, da all das Leid auch das Potential hat, einen niederzudrücken, traurig zu machen, zu beklemmen.
Aber ich merke immer mehr: mit den Menschen hier mit-leiden ist ein Schlüssel zu ihren Herzen. Ich bin tief davon überzeugt, dass gerade dieses Mitleid die Menschen öffnen kann für unseren Herrn.
Viele Menschen hier wissen, dass ich in Deutschland krank war und operiert werden musste. Nun bin ich wieder da und es geht mir sehr gut gesundheitlich.
Dennoch bekomme ich immer wieder Besuch von Freunden und Nachbarn, die mir ihren Respekt zeigen, in dem sie mich nach meiner Krankheit besuchen. Wäre ich hier gewesen, hätte ich hier schon während meiner Krankheitszeit viel Besuch bekommen. Es berührt mich, wie sehr die Menschen hier in ihrer Art und Weise ihr Mitleid ausdrücken. Es ist ernst, schon auch eine gewisse Pflicht, aber dennoch scheint all ihr Nachfragen so von Herzen zu kommen. Es beschämt mich, wenn mir gerade ärmere Freunde dann einen Geldschein in die Hand drücken. Auch das ist hier Tradition. Krank zu sein heißt hier auch unweigerlich, dass man Ausgaben hat und diese werden sozusagen von der Gemeinschaft mit getragen.
Ich schäme mich etwas, dieses Geld anzunehmen, aber ich tue es, aus Respekt. Und ich weiß es an anderer Stelle wieder einzusetzen.
Mit-leben heißt vor allem Mit-leiden. Und das nicht nur hier in Albanien.
Ich will dich ermutigen, bereit zu sein, zu leiden. Nicht, weil du vielleicht selbst Leid erlebst, sondern weil du mit denen leidest, die Gott dir anvertraut hat. Freunde, Familie, Arbeitskollegen, Menschen, die dir auch nur einmal begegnen. Höre hin, schaue an, gebe dich hin. Gebe deine Aufmerksamkeit, deine Zeit, dein Mitgefühl.
Lass dich nicht abschrecken von der Not anderer. Manchmal möchte ich am liebsten gar nichts mehr hören. Nein, ich kann es nicht mehr hören, dieses Leid, diese Not, diese Sorgen.
Doch wenn ich das nicht tue, dann versäume ich es als Nachfolgerin Jesu, meinen Auftrag zu erfüllen. Jesus hat uns in eine leidende Welt geschickt. Die Welt wurde aus Liebe gemacht, so schreibt Ann Voskamp, und sie wurde für Liebe gemacht, was bedeutet, dass die Welt verletzlich, zerbrechlich und leidend ist. Zu lieben bedeutet zu leiden.
Erst heute habe ich in Matthäus 25 das Weltgericht gelesen. Da werden Menschen letztendlich darüber gerichtet, ob sie Mitleid mit anderen hatten, oder nicht. Da ist von den Hungernden, von den Durstigen, den Fremden (oder Flüchtlingen), von Nackten und Kranken und von Gefangenen die Rede. Alles Leidende in irgendeiner Art. Und die große Frage am Ende ist: Wie bin ich mit diesen Menschen umgegangen? In all diesen Leidenden begegnet mir und dir Jesus selbst.
"Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mit getan."
Es ist nicht leicht. Aber das sagt auch keiner. Es ist herausfordernd und doch zugleich der Weg zu einem erfüllten Leben, einem reichen, einem tiefen Leben.
"A passionate life is a sacrificial life. A life that wants to embrace Christ is a life that must embrace suffering. A life of giving is ultimately the most life-giving." (Ann Voskamp)